Montag, 13. Mai 2013

FREEZE

Wie Andreas Liebmann und Tumasch Clalüna etwas schwindlig wird

Blue Monday. Es ist grau, kühl, ungemütlich auf dem Centralplatz der UPK. Kaum Patienten, kaum Personal. Viele bekannte Gesichter fehlen. Ich vermisse die fröhliche Paranoia von T, die, wenn man sie beim Namen ruft, sagt: „T. gibts nicht, T. ist erschossen worden.“ Ich vermisse den vermeintlichen Schwerverbrecher V. mit seiner Kampfgeheimwissenschaft. So gerne würde ich hinter die Kulissen schauen, wissen, was sich hier wirklich abspielt. Ist das, was wir hier sehen, bloss die Micky-Maus-Version der wahren Vorgänge? Ist es hier, bei unserer Grille und bei den Würsten, einfach nett, freundlich, gefahrlos, während noch ganz andere Prozesse hier stattfinden, die in Einzelzimmern und Gruppentherapien mit Hilfe eines abgebrühten Bewachungsapparates unter Kontrolle gehalten werden? Was würde passieren, wenn die Medikamentenabgabe gestoppt würde? Was, wenn einzelne bei Spaziergängen nicht begleitet würden? Ich höre in der UPK keine Schreie und nichts extremes. Sitzen, schlendern, stehen, schauen. In Stühlen hängen. Musik hören. Still miteinander reden. Nur manchmal, bei gewissen Geschichten, Blicken, Bewegungen, tut sich ein kleiner Spalt auf, der etwas erahnen lässt. 

F,. ein Betreuer, mit dem ich immer wieder rede, ist die Ruhe in Person. Unbestechlich. Immer, wenn ich Ideen vorbringe, was man am Grillfest machen könnte (singen, reden, tanzen, Geschichten erzählen, zeichnen...) , und ob er nicht vielleicht einige Patienten dazu bewegen könnte, etwas zu machen, beharrt er auf der Eigenverantwortung der Patienten. „Wenn sie wollen, ja, wenn sie nicht wollen, nein“. Mich beeidruckt das sehr. Die Patienten werden komplett ernst genommen. Auch in ihrer Gefährlichkeit bzw. Unabhängigkeit. Sie sind nicht hier, um zu etwas anderem gemacht zu werden, als sie sind. Aber es kann ihnen geholfen werden, hier oder da. Ich besuche F. in seinem Therapieraum. Da steht die Skulptur eines Insassen. Ein Mensch sitzt auf einem Turm. F. erzählt mir die Geschichte dazu: Eine buddhistische Geschichte von einem Verbrecher, der sein Karma reinigen will. Er geht zu einem grossen Weisen, und sagt: „Bitte reinige mein Karma.“ „Ja, so hophopp geht das nicht, zuerst musst Du....“. Es folgen unzählige Aufgaben, wie: Turm aufbauen, danach den Turm zerlegen und alle Bestandteile des Turms dahin bringen, wo sie herkommen. Wege zurücklegen, Gebilde errichten und niederreissen. Am Ende darf der Verbrecher auf dem x.ten von ihm gebauten Turm sitzen bleiben. Den Schluss der Geschichte erzählt mir F. nicht, oder zumindest kriege ich ihn nicht mit. Ich bin abgelenkt von X, der mich im Internet gefunden hat. Er möchte ein Stück von mir lesen. „Und wenn ich raus bin, dann zeigst Du mir, wie das geht, wie man einen Verlag findet, wie man schreibt.“

Mein Blick für psychische Gesundheit oder nicht ist doch nicht wirklich besser geworden. Ein Mann, der sich als Dozent in Erwachsenenbildung vorstellt, weiss, wie man grillt. Er kommt ursprünglich aus Dänemark, dem Land mit der grössten Schweinezucht Europas. Er kennt jede Grillfinesse. „Wenn bei uns gegrillt wird, wird nicht einfach eine Wurst auf den Rost gelegt. Es gibt einen Ablauf, ein Ritual. Das ist ein Ereignis. Hier hat man kein Gefühl dafür. Wurst grillen und essen dauert hier 8 Minuten. Ich habe das mal messen lassen. Bei uns, da ist das eine richtige Feier. Ich bringe Dir Bilder und Zeichnungen mit, dann zeige ich dir das. “ Oh, würde dieser Spezialist einen Vortrag auf dem Grillfest halten! Wir würden gebannt zuhören. Wir würden ihm einen roten Teppich auslegen. Aber er hat keine Zeit. Vielleicht am 31. Mai, in der Kaserne. Als er weg ist, frage ich Tumasch: War er jetzt gesund oder nicht? Tumasch zuckt mit den Schultern. Keine Ahnung.

Ich frage den Gärtner, ob er Lust hat, am Grillfest Witze zu erzählen? Vielleicht, ja.  P. war einmal Musiker, zumindest war er in allen amerikanischen Musikzentren. Detroit, Motown! Hat er Lust, am Grillfest Musik zu machen? Synthesizer vielleicht. Er singt ein paar alte Hits in mein Mikrophon. „My Bonnie“, „Get back“. O. taucht auf. Er spielt Cello. Wir könnten ein Duett machen. „Häsch Note?“, sagt er. Ich: „Wir könnten improvisieren“. „Oh nein“. Er isst eine Wurst. „Was, die kostet nichts?.“ Dann kommt  B., die in der Verwaltung arbeitet und alles koordiniert. Sie meldet, der Wetterbericht für Freitag sei schlecht. Ob da überhaupt jemand grillieren will? Ausserdem sei Pfingsten. Viele verreisen. Konnte man mir das nicht früher sagen? Pfingsten vergesse ich immer. Als ich noch bei den Pfadfindern war, gabs das Pfingstlager. Das war ein Fixpunkt.

Unsere Grille bekommt ihren ersten Flügel. Von vorne sieht sie etwas aggressiv aus. Sie muss repariert werden: Viele Knoten wurden übers Wochenende locker. Oft wird uns gesagt „In China werden ganze Gerüste so gebaut.“ Ja, wir sind Anfänger.

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