Freitag, 17. Mai 2013

ABSPIELEN

Es wurde ein Fest. Nicht nur das Wetter feierte. Ich habe heute viele Gesichter gesehen, die bisher nicht bei uns aufgetaucht sind.  Fast alle Bekannten der letzten beiden Wochen sind da. X fehlt, ich glaube, er ist über Pfingsten verreist. P. ist nicht da. Er wohnt seit zwei Tagen in einem Wohnheim und lässt über einen Betreuer ausrichten, es sei ihm zu viel, vielleicht komme er noch. Wir haben immerhin Tonaufnahmen von ihm dabei: Aus unserem Ghettoblaster singt er„My Bonnie“ und andere amerikanische Folk-Klassiker. Ich habe fürs Grillenfest einen kleinen Musikmix gemacht mit Aufnahmen der letzten beiden Wochen - die Beatbox-Session der Forensik-Jungs, das Kinderlied eines Spontangitarristen („Let the sun shine over Basel“), sowie Lieblingslieder von V („Zeilen aus Gold“ von Xavier Naidoo und ein Hit von Will.I.Am feat. Britney Spears), die Folklieder von P, das Lied von T. von gestern, und ein paar andere.

Eine Betreuerin kommt in den Stunden vor dem Fest vorbei, und sagt: Sie würde einfach nicht verstehen, was wir hier machen. Was es denn bedeute? Ich versuche ihr zu erklären, dass wir ein Grillfest machen und mit dem Begriff „Grillen“ spielen. Daher unsere Bambusgrille. Daher der Bezug zur Klinik. Daher Grillenfest. Sie meint, das habe sie ja gelesen, aber sie habe sich immer gefragt, was es denn bedeute? Fehlt das dramaturgische Begleitheft wie für ein Schiller- oder Botho-Strauss-stück am Theater Basel? Tumasch erklärt mir, dass genau das schwer verstehbar sein könne:  Dass zwei nichts anderes machen, als zwei Wochen hierzusein und ein Grillenfest vorzubereiten. Auch ich ertappe mich dabei, dass ich nicht sicher bin, ob es denn genug sei. Ich frage mich selbst: Soll ich eine Ansprache halten, ein Tänzchen erfinden? Tumaschs entgegnet etwas streng: „Unsere Arbeit ist dieses Fest. Und das findet jetzt statt. Die Ingredienzien sind angerührt. Die Leute sind da.“ Gut. 

T. ist heute auch da - wenn auch eindeutig zurückhaltender, fast ängstlich und etwas aggressiv. Die Menge der Leute bringt sie offenbar durcheinander, und sie verdächtigt andere Grillierende des Diebstahls oder Mordes - während sie die letzten beiden Wochen zwar von Verbrechen und Schusswechseln berichtete, aber niemanden verantwortlich machte. Immer wieder aber kommt sie heute zu mir, und fragt, ob ich alles abgeholt hätte, wo das Geld gewesen sei, und ob ich benachrichtigt worden sei. Ja. Alles in Ordnung.
Eine Frau, die ich bisher immer nur von Ferne gesehen habe, schreit herum. „Das Leiden anderer ausschlachten. Scheisskapitalisten. Sich über das Schicksal anderer lustig machen. Arschlöcher“. Dann sitzt sie lange auf einer Bank hinter unserem Auto und kramt in ihrer Tasche.

Der Staff der UPK bekommt den Preis für die besten Veranstaltungstechniker. Zelte werden im Handumdrehen auf- und abgebaut. Würste werden nachbestellt, Email-Adressen werden getauscht. F. der mit G. den Grill bedient und schmeisst, bringt uns eigene Party-Mucke. Die Forensik-Gang ist da. Zwei von ihnen liefern eine kleine Choreographie mit unserer Grille. Die Abteilung für Drogensüchtige taucht auf, Leute von der Psycho-Diagnostik, Qualität und Prozesse, der alte Cellist, der Klinikdirektor, über die zwei Stunden verteilt mindestens sechzig Leute.

Jana zeichnet. Fotographieren ist ja nur eingeschränkt möglich. Wie eine Gerichtszeichnerin sitzt oder steht sie da zwischen Wurst- und Kartoffelsalat-Essern und hält in Skizzen fest, was passiert. Ihre Arbeit ist vor allem bei Männern sehr begehrt. H, unser Grillenträger von gestern, lässt sich gern zeichnen und ist begeistert vom Porträt. Wir sammeln die Bilder für unser nächstes Fest ein, lassen uns aber auch die Adressen der Portraitierten geben, damit sie die Zeichnungen später bekommen können.

Wir wollten ein Grillenfest in der UPK zu machen. Dies hat heute stattgefunden. Jetzt zieht es um. Am 31. Mai wird es, leicht mutiert, auf dem Kasernenareal wieder steigen. Andere Besucher werden da sein, und hoffentlich auch einige Teilnehmer von heute.
Hier noch eine kleine Werbung: Am 27. Mai um 21.30 lese ich im Motel auf dem Kasernenplatz live aus dem Grillenblog und veröffentliche neubearbeitetes Rohmaterial.

Wer die Ausdauer hatte, dem Blog zu folgen: Herzlichen Dank. Sporadisch kommt bis zum 31. vielleicht noch das eine oder andere dazu. Die erste Blogetappe hat jedoch stattgefunden. Für Kommentare und Feedback und weitere Gespräche bin ich offen. Jetzt kommt das zweiwöchige Grillenmaterial erstmal in die Küche, wird neu gehäckselt, auf den Kompost geworfen, und kann ein bisschen gären.

Bis dann.

Andreas

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